Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.
Mit einem Buch in der Hand
gehört dir ein ganzes Land
Mit einem Buch in der Hand
gehört dir ein ganzes Land
Ein Land mit Pferden aus Schnee
Ein Land mit einem goldenen See
Ein Land mit hohen Türmen
Ein Land mit Zauberstürmen
Ein Land mit weiten Wiesen
Ein Land mit freundlichen Riesen
Ein Land mit hohen Bergen
Ein Land mit sieben Zwergen
Ein Land mit sprechenden Steinen
Ein Land mit fliegenden Schweinen
Ein Land mit singenden Fischen
Ein Land mit gedeckten Tischen
Ein Land mit unsichtbaren Kleidern
Ein Land mit tapferen Schneidern
Ein Land mit Fürstinnen und Grafen
Ein Land, in dem alle schlafen
Ein Land, ganz aus Buchstaben gemacht
Ein Land, nur für dich erdacht
Mit einem Buch in der Hand
gehört dir ein ganzes Land
Der Meerhase
Ich habe heute einen Meerhasen gesehen,
tief unten im Meer.
Er wollte auf einem Bein stehen,
aber im Wasser geht das schwer.
Dann hat er einen Salto gemacht
und mir eine Karotte gebracht.
Plötzlich war er wieder fort.
Das Meer ist ein rätselhafter Ort.
Der Löwe in mir
Der Löwe in mir
ist ein schüchternes Tier.
Immer, wenn ich mich etwas trau,
brüllt er mutig: »Miau!«
Von Giraffen und Affen
Ein Freund von mir redet mit Giraffen
und mit kleinen frechen Affen.
Na ja, er ist Direktor in einem Zoo.
Da macht man das so.
Ich habe keinen Zoo.
Dafür einen Kater mit eigenem Klo.
Am See
Gestern, beim Spazierengehen,
hab ich einen Schwan gesehen.
Er glitt ans Ufer, ganz leise,
und wünschte mir eine gute Reise.
Heute
Heute sah ich ein fliegendes Pferd.
Es ist – wirklich wahr, nicht gelogen! –
an meinem Küchenfenster vorbeigeflogen.
Ich blieb ganz still am Fenster stehen
und habe ihm lange nachgesehen.
© Heinz Janisch
Heinz Janisch arbeitet beim Österreichischen Rundfunk und macht dort die Hörfunkreihe »Menschenbilder«. Aber vor allem ist er Schriftsteller. Er hat viele Kinder- und Bilderbücher geschrieben, die in mehr als 25 Sprachen übersetzt wurden. Und er schreibt Gedichte. Gerade ist in der Edition Thurnhof sein Erwachsenengedichtband »Das Meer hört nicht auf« erschienen (www.thurnhof.at) und er genießt das große Glück, dass der Wiener Jungbrunnen Verlag drei Kindergedichtbände von ihm veröffentlicht hat, alle drei illustriert von Linda Wolfsgruber: »Ich schenk dir einen Ton aus meinem Saxofon« (1999); »Heute will ich langsam sein« (2005) und »Wo kann ich das Glück suchen« (2015). Heinz Janisch lebt mit seiner Familie in Wien und im Burgenland.
Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982) und »Der Alltag des Fortschritts« (1996). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her.«
Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.