Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.
Mücke
Mücke,
ob ich dich zerdrücke? Dich zerpflücke?
Oder reiß ich dich in Stücke?
Nein!
Sehr zu deinem Glücke
bleibst du
eine blöde Mücke.
So ein Esel
Ein Esel saß auf einem Baum,
das war nicht echt, das war ein Traum.
Er wippte hin und wippte her,
als ob er ein dickes Vögelchen wär.
Da zwitscherte er plötzlich leise:
Ach, wäre ich doch eine Meise,
ich flöge weiter bis ans Meer,
sagte er.
Und stieß sich ab und schwang sich auf,
flog ein Stück, kam echt gut drauf.
Doch wie in solchen Träumen immer:
Irgendwann fällt man ins Zimmer
Unser Esel in den Stall.
Das gab einen satten Knall!
Der Einzelfall
Tannen und Fichten standen steif
gefroren unter Winterreif.
Gepudert lagen Wies und Grund,
die Sonne stieg, orange und rund.
Ein Augenblick nur, kurze Dauer,
da sah ich sie, erkannt sie kaum.
Schwarzweiß stand sie, wie eine Mauer
am hart gefrornen Wiesensaum.
Was macht sie da so ganz alleine?
Ich sorgte mich sogleich um sie.
Bewegte keines ihrer Beine.
Was dachte das verirrte Vieh?
Friert sie an den dünnen Ohren?
Sucht sie ihre Artgenossen?
Ist die Milch ihr schon gefroren?
Hat sie Schmerzen, ist verdrossen?
Könnte ich doch zu ihr eilen,
einfach kurz bei ihr verweilen,
ihr die Flanke wärmer rubbeln,
einmal übers Fell schnell strubbeln.
Dass sie nicht mehr einsam ist,
sich bewegt und wieder frisst,
heimwärts zieht zu den Kumpanen
und nicht etwa zu den Ahnen.
Längst sind wir vorbeigerauscht.
Hab ich das nur aufgebauscht?
Dieses Kuh-ich-rette-dich,
dieses So-allein-doch-nicht.
Denn am Ende sehr wahrscheinlich
wär’s für Kuh und mich recht peinlich.
Vielleicht dacht sie auf der Wiese:
»Nee, wat für ‘ne steile Brise.
Sonne scheint orangerot hell,
weißgepudert ist mein Fell.
Alle andern stehn im Stall,
ich allein ein Einzelfall.
Endlich hab ich meine Ruh,
bin ‘ne echt zufriedne Kuh.«
Grashalm sein
Ich wäre so gern
nein
nicht am Himmelszelt ein Stern,
aber doch in deiner Nähe.
Ich könnt ein schmaler Grashalm sein,
anfangs Samen und recht klein,
würd ich ganz ohne Faxen nach oben wachsen.
Ich wär stark und leicht zugleich,
stünde rum in deinem Reich
mit den andern – Ohr an Ohr – grüner Flor.
Ich würd mit dem Winde wippen,
auch mal leicht zur Seite kippen
Igitt, Regen, piepst die Maus.
Macht mir gar nichts aus.
Grün und lang sein – das ist toll.
Nicht allein sein bringt es voll.
In der Sonne Schatten stanzen,
durch den Hagel Pogo tanzen.
All die andern halten mich
Wippen, flattern, biegen sich.
Komm doch auch in unsere Mitte, bitte!
Gold und Lila
für Thomas S
Heute war mein Leben schwer,
dachte schon, es geht nichts mehr.
Machte mich auf den Weg zum See
in der Hand heißen Tee.
Ratterte ein Zug heran,
bremste, quietschte und hielt an.
Waggon sieben alles frei,
nur am Fenster saßen zwei.
Einer Gold und einer Lila,
schauten rüber: »Guck mal die da!
Wie die sitzt am grünen See,
taucht ins Wasser ihren Zeh.
In der Hand köstlichen Tee,
das Gesicht so voller Weh.«
»Sieht sie nicht die Pracht der Wiese?
Fühlt sie nicht den Sonnenstrahl?
Denkt sie nur an ihre Krise?
Alles Schöne ist egal?«
»Heb den Blick und sieh die Berge«,
ruft mir Gold fein lächelnd zu.
»Sing ein Lied, flieg mit den Lerchen!«
Lila schenkt mir seine Ruh.
Und dann winken sie, die beiden,
und der Zug fährt langsam an.
Schiebt sich weiter auf den Gleisen
und zurück bleibt ratatam.
Ich fühl plötzlich große Freude
über See und Grün und Luft.
Lieg im Gras, schau in den Himmel
hab es einfach nicht gewusst.
Find im Kleinen meine Wonne,
seh den Käfer und den Mohn
und ganz hinten weiß die Berge.
Leben, Liebe – komme schon!
Baden gehen
Mit nackten Füßen
durchs Gras
durch Sand
über Steine
mit Anlauf
in den See
ins Meer
in die Wanne?
Untertauchen
vor mir, hinter mir, über mir, unter mir
Wasser
Fisch sein
frei sein.
© Ute Wegmann
Ute Wegmann studierte Germanistik, Romanistik und Pädagogik. Nach dem Abitur hat sie auf der Kinderstation einer Klinik gearbeitet: Hilfsschwester Ute. Sie wollte mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten. Mit 18 sang sie in einer Band und schrieb schräge Texte, gereimt und ungereimt. Ohne das Satiremagazin Titanic und F.K. Waechter und Robert Gernhardt hätte sie womöglich nie eine Zeile geschrieben. Dass neben der hohen Literatur solche Gedichte möglich waren, kam dem Paradies gleich.
Aber alles, was sie schrieb, in all den Jahren, in all die Kladden und Hefte, landete fein säuberlich gestapelt in Kisten. Erst im neuen Jahrtausend kam Mut auf. Es entstanden kleine Krimitheaterstücke, das erste Drehbuch, der erste Film, das zweite Drehbuch, bis eine Verlegerin sie zum Romanschreiben ermunterte. Die Kindheit war so nah. All die Abgründe und die Einsamkeit und das Suchen und all das zu Bestaunende. Sie hat sich getraut und schrieb ihren ersten Roman – »Sandalenwetter«. Es folgten weitere, und oft gab es eine Figur, die sich einen Reim aufs Leben machte und Gedichte schrieb. Und eines Tages erinnerte sie sich, woher sie kam, die Begeisterung fürs Dichten. Es war das erste Buch ihrer Kindheit: »Ich und du. Kinderreime«.
Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982) und »Der Alltag des Fortschritts« (1996). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her.«
Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.