Gedichte für Kinder – Folge 47: Acht unveröffentlichte Kindergedichte von Georg Bydlinski

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Zahlengedicht

1 Kirschbaum
steht am Straßenrand
und schaut den Autos zu.

2 Krähen
sitzen oben drauf,
eine heißt Ich, eine Du.

3 Kinder
spielen Fußball
hinter dem Bretterzaun.

4 Ecken
hat ihr Spielfeld,
der Ball ist weiß und braun.

5 Käfer
ganz am Rande
wagen sich jetzt hervor.

6 Schritte
läuft das schnellste Kind,
und alle jubeln: „Tor!“

 

Strandurlaub

Langsam ins Wasser gehen.
Das Meer leckt mir die Zehen.
Das Meer lockt mich hinein:
das Knie, das ganze Bein,
den Bauch – hui, ist das kalt!
Doch ich gewöhn mich bald.
Jetzt steht’s mir bis zum Hals.
Ich freu mich jedenfalls.

Kurz untertauchen – zisch.
Schau her: Ich bin ein Fisch!

 

Der Traum des Ede Enzian

Ich klau vom Turm den Wetterhahn,
damit ich Hühner züchten kann.
So verdiene ich viel Geld
und reise dreimal um die Welt.
Weil ich ein toller Blogger werde,
kennt mich bald jeder auf der Erde …

Soweit der Traum des schlauen Wichts.
Was ist davon gelungen? Nichts.

 

Aushang am Rathaus

Gestohlen: der Schatten der Sonnenuhr.
Gestohlen: das Lächeln der Brunnenfigur.
Von den Dieben fehlt jede Spur.
Welcher Affe war das nur?

 

Der Abenteurer

Ich möcht so gern ein Ritter sein.
Das Mittelalter ist schon aus –
das find ich einfach hundsgemein.
Statt Burg ein enges Reihenhaus!

Ich möcht so gern ein Cowboy sein.
Im Garten ist kein Platz für Pferde,
er ist zu vollgeräumt und klein.
Ich glaub, ich schreib eine Beschwerde!

Ich wär so gern ein Astronaut
und würde zu den Sternen rasen!
Doch lieg ich auf der faulen Haut
und kraul das Fell von meinem Hasen.

Der ist so lieb, wie er jetzt schaut –
er möchte ohne mich nicht sein.
Als Ritter, Cowboy, Astronaut
ließ‘ ich ihn viel zu oft allein!

 

Pech gehabt

Der Räuber Rotzenspotz,
der hat kein Taschentuch.
Der Räuber Rotzenspotz,
der schnäuzt sich in dein Buch.

 

Die Nacht

Hinter dem Kaugummi-Automaten
wohnt die Nacht.
Dort schläft sie am Tag, träumt,
und wenn sie wegen Helligkeit und Lärm
nicht schlafen kann,
kaut sie Kaugummi.
Sie hat ein Loch
in die Rückwand des Automaten gefressen,
mit ihren kleinen schwarzen,
einsamen Zähnen.

Wenn es dunkel wird,
bläst sie sich auf wie einen Kaugummi
und platzt in unsere Welt.

 

Kennst du das nicht?

Durch die Wolken
schießt die Sonne
plötzlich Licht.

So
entsteht auch
ein Gedicht.

 

© Georg Bydlinski

 

Georg Bydlinski, in Graz geboren, ist in der Steiermark, im Rheinland und im Wiener Raum aufgewachsen und lebt mit seiner Familie in Mödling in Niederösterreich. Er studierte Anglistik und Religionspädagogik an der Universität Wien und ist seit 1982 freier Schriftsteller. Unter seinen rund 90 Büchern finden sich 7 Gedichtbände für Kinder: „Der Mond heißt heute Michel“ (1981), „Die bunte Brücke“ (1992), „Wasserhahn und Wasserhenne“ (2002), „Ein Gürteltier mit Hosenträgern“ (2005), „Wenn mein Computer kläfft, küss ich dein Rechenheft“ (2014), „Das Gnu im linken Fußballschuh“ (2014) und „Adalbär & Katzarina“ (2015). Und der 8. Gedichtband erscheint in diesem Frühjahr unter dem Titel „Mit Wörtern kann man vieles machen“. Warum er Gedichte für Kinder schreibt, begründet er so: „Ich spiele gerne mit der Sprache, liebe Klang und Rhythmus der Worte – und Kinder machen das genauso gern!“ Ausgezeichnet wurde der Autor u. a. mit dem Österreichischen Staatspreis für Kinderlyrik (2001), dem Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis (2005) und dem Friedrich-Bödecker-Preis (2012).

 

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

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