Gedichte für Kinder – Folge 50: Sechs unveröffentlichte Kindergedichte von Friedrich Ani

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

 

Wind

Ich heiß Kind,
und du heißt Wind.
Du schmeckst nach Sand am Meer,
in meiner Stadt nach Teer.

Wo ich auch bin,
du kommst überall hin.

Ich fang dich mit der Faust,
bevor du dich verschaust,
und nehm dich mit nach Haus,
da pack ich dich ganz heimlich aus.

Oje, oje, die Hand ist leer.
Ich vermisse dich so sehr.

 

Mein Schatten

Ich hab heut was geträumt.
Ich hab geträumt, ich hätt
meinen Schatten heut versäumt.
Dann schau ich unters Bett:
Er ist schon da und grinst ganz fett.
Er hat sich selber aufgeräumt.

 

Das macht Spaß

Ich sitz im Gras,
das macht Spaß.
Um die Ecke
kriecht eine Schnecke,
ich schau ihr zu.
Da kommt eine Kuh
und latscht über die Schnecke.
Sie sinkt ins Gras,
das macht Spaß,
sie hat jetzt eine grüne Decke.

 

Bei uns zu Haus

In Visselhövede wohnt ein Nashorn,
das frisst am liebsten Gras und trinkt ’n Korn,
genau wie das in Vechta,
doch das ist lang schon wech da.

 

Klagelied einer Schnecke

Mein Haus geht heut spazieren,
das bedeutet, ich muss frieren.
Gestern war es auch schon weg,
hab gerufen – hat kein‘ Zweck.

Mein Haus ist lustig drauf,
immer singt es und tanzt heiter
durch die Gassen, runter, rauf,
kehrt nicht um, läuft einfach weiter.

Eine Schnecke ohne Haus
sieht total bescheuert aus.
Stellt euch vor, heut Nacht fällt Schnee,
ohne Schleimspur: Haus ade.

 

Wie es ist

Da liegt ein Schaf
in einem tiefen Schlaf.
Es träumt vom Meer,
das ist nicht schwer.
Schwerer wär,
es würd vom Nordpol träumen,
dann müsst’s die ganze Nacht lang Schnee wegräumen.

Ein Hase popelt
in der Nase,
das sieht sehr lustig aus,
er kriegt die Pfote nicht mehr raus.

Und der Fuchs hat
Augen wie ein Luchs.
Er schaut ganz weit aus seinem Bau
bis hoch zum Mond,
wo einer seiner Brüder wohnt.
Wie der da hinkam, das weiß keine Sau.

So geht’s zu in der Natur.
Alle Tiere spielen nur
und erfreuen sich am Leben.
Und der Mensch steht doof daneben.

 

© Friedrich Ani

 

Friedrich Ani, geboren in Kochel am See, schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele und Drehbücher. Er erhielt sieben Mal den Deutschen Krimipreis sowie den Stuttgarter Krimipreis, den Adolf-Grimme-Preis und den Bayerischen Fernsehpreis. Sein Roman „Der namenlose Tag“ wurde unter die zehn besten internationalen Kriminalromane des Jahres gewählt und von Volker Schlöndorff verfilmt. Auf die Frage, warum er Lyrik schreibt, antwortet er: „Mit Gedichten habe ich meinen Weg als Autor begonnen und sie blieben all die Jahrzehnte Teil meiner Arbeit und meiner Suche nach dem mir angemessenen Wortschatz. Gedichte für Kinder zu schreiben, ist eine neue Erfahrung, eine ganz wunderbare. Ich möchte nicht damit aufhören …“ Friedrich Ani lebt in München.

 

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

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