Gedichte für Kinder – Folge 56: Sechs unveröffentlichte Kindergedichte von Karl Kirsch

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Merkvers

Neulich sagte mir Herr Hegel:
Es gibt Igel, es gibt Egel.
Aber Agel, Ogel, Ugel
sind auf dieser Erdenkugel
noch von niemandem gesichtet.
Und so wird auf sie verzichtet.

 

Sauber!

Die Kühe mit ihrer Zunge
können mehr als Mädchen und Junge:
Sie klappen sie, schwapp, aus dem Maul
zum Nasenloch hoch und, nicht faul,
mit einer geschickten Drehung der Spitze
säubern sie alles, auch noch die klitze-
und kleinste Spur Rotz daraus weg!
Keine Kuh scheitert am Nasendreck.
Sie haben nasse Nasen, die Kühe,
sehr nasse. Aber sie geben sich Mühe.

 

Oktober ohne Regen

Wo sind die schwarzen Wolken hin,
die mit den prallen Bäuchen?
Es bläst. Es faucht. Wind ohne Sinn.
Kein Nass. Bloß leeres Keuchen.

Der Himmel drückt als graue Wand.
Das dürre Laub in Aufruhr.
Nichts ändert sich am Tatbestand:
Kein Nass. Bloß Wind auf Rauftour.

Es prügelt Bö‘n. Es regnet nicht.
Kein Tropfen hängt am Fenster.
Der Wind pfeift. Trübes Tageslicht.
Kein Nass. Bloß Herbstgespenster.

 

Herbstmorgen

Der Tag tritt mühsam aus der Nacht,
verzagt vor ihrer neuen Macht.

Jetzt kommt ein Wind. Und alle Sparren
des Dachs hör ich gefährlich knarren.

Es ballt und fetzt sich Wolkengrau,
dazwischen Sonne, kalt und mau.

Und nur die Rosen insistieren:
Es ist nicht um! Sie blühn. Und frieren.

 

Endlich kühler!

Heut ist der erste Mützentag
für mich, der ich gern Mützen trag.
Ein scharfer Wind umbläst mich kalt,
bemützt geschützt geht‘s durch den Wald.
Nichts will ich gegen‘s Wetter sagen,
ich lieb auch sehr Pullovertragen.

 

Hinweis auf einen Milchshake

Wenn die Stadt es wirklich wollte,
kinderleicht fiel ihr der Test,
ob sich auf den Radfahrwegen
auch vernünftig fahren lässt:

Erdbeeren! Kauf dir ein Kilo,
radel heim im Vorgenuss;
sind sie danach ohne Tadel,
sind die Radwege in Schuss.

Liebstes Kind, du wirst es ahnen,
keine Erdbeere blieb heil.
Musst sie zu ‘nem Drink vermahlen,
der erwartet dich derweil

– im Kühlschrank!

 

© Karl Kirsch

 

Karl Kirsch war lange Berliner und nicht ganz so lange „Spanier“. Jetzt lebt er als zurückgekehrter Auswanderer bei Leipzig und unterrichtet Einwanderer in seiner Muttersprache Deutsch. Ihm ist klar, dass seine Kursteilnehmer ein ähnliches Problem haben wie er, wenn er dichtet: Sie möchten viel und das möglichst genau sagen, aber sie haben nie genug Wörter. Deshalb liebt er diese Arbeit. Darüber hinaus schreibt er für Erwachsene und Kinder alles Mögliche, aber in den letzten Jahren immer öfter Gedichte. Er veröffentlicht bei Gelegenheit, meist in kleinem Rahmen, wie etwa die Weihnachtsstücke, die seit 2015 jährlich von den dritten und vierten Klassen einer benachbarten Grundschule uraufgeführt werden. An Gedichten reizt ihn, dass in ihnen Gedanke, Reim und Rhythmus sich finden müssen – was spielerisch zugeht und oft überraschend ausgeht. Dass dabei auch Kindergedichte entstehen, liegt für ihn auf der Hand.

 

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert