Gedichte für Kinder – Folge 72: Fünf Kindergedichte von Salah Naoura

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Hilfe!

Ein Eisbär schrieb im Internet:
Suche Freundin, bin sehr nett.
Habe leider gar kein Geld,
wohne hier am Arsch der Welt,
ohne Heizung, ohne Haus,
sehe nicht besonders aus,
sitz auf einem Floß aus Eis,
kaum erkennbar, bin ja weiß.
Um mich rum ist alles nass,
echt, so langsam nervt mich das!
Wäre schön, ich hätte dich!
HILFE! BITTE FINDE MICH!
Mein Floß wird kleiner und treibt ab,
der Akku macht so langsam schlapp,
Weiterschreiben wird wohl schwer,
mein PC fällt grad ins –

 

 

Komm doch mal her

Ich habe dich so supergern,
aus der Nähe und von fern,
immerzu und überall,
jederzeit, auf jeden Fall.
Ganz egal, wo du auch bist
und ob es dort viel schöner ist:
Komm doch bitte schnell mal her.
Würd mich freuen, wirklich sehr!
Wohn doch einfach hier bei mir,
dann ist es nicht so weit zu dir.

 

 

Viel und mehr

Werner kauft ein neues Messer.
Erna fand das alte besser.
Werner spült ganz fix die Teller.
Erna sagt: „Ich spüle schneller.“
Werner hustet morgens immer.
Erna hustet viel, viel schlimmer!
Werner sagt: „Ich lieb dich sehr.“
Erna sagt: „Ich lieb dich mehr!“
„Dann hab ich dich nur gern“, sagt Werner.
„Und ich“, sagt Erna, „hab dich gerner.“

 

 

Kleine Nachtgeschichte

Erzähl noch was, los, fang schon an,
damit ich besser schlafen kann …

Na gut. Es war einmal ein Haus im Wald,
dort blies der Wind so furchtbar …

WARM!

Na gut. Dort blies der Wind so furchtbar warm,
die Leute waren schrecklich …

REICH!

Na gut. Die Leute waren schrecklich reich,
und Fische schwammen dort im …

MEER!

Na gut. Die Fische schwammen dort im Meer,
von rechts nach links und hin und …

ZURÜCK!

Zurück? Wieso denn zurück?
Na gut. Sie schwammen also auch zurück,
denn das Meer ging bis zum Haus,
und das Haus, das stand im Wald,
und im Wald, da war es warm,
und die Leute, die war’n reich,
und ihr Sohn, der war so schlau:
Er wusste alles ganz genau!

Das hast du dir toll ausgedacht!

Na, dann schlaf schön, gute Nacht.

 

 

Monsterliebe

Was ich an dir gerne mag?
Dein Gemotze jeden Tag!

Und ich, dass du so blöde bist,
du redest immerzu nur Mist!

Du bist so herrlich hundsgemein,
so fies und mies kann keiner sein.

Und du, du lügst so wunderbar,
bei dir ist wirklich nie was wahr.

Ich weiß auch nicht, was das soll:
Ich finde dich zum Kotzen toll!

Und ich, ich lieb dich schauerlich!
Los, lieb mich auch, sonst hau ich dich!

 

© Salah Naoura

 

 

Salah Naoura, Sohn eines Syrers und einer Berlinerin, wurde drei Jahre nach dem Mauerbau in West-Berlin geboren, im Stadtteil Friedenau eingeschult und wenig später nach Eschborn bei Frankfurt/Main zwangsumgesiedelt, wo der Vater im Bankgewerbe zu arbeiten begann. Die Faszination für Geschichten, Sprache und Sprachspiel begann früh, ganz konkret bereits im Bilderbuchalter mit den Kindergedichten von Christian Morgenstern, illustriert von Horst Lemke. Nach dem Abitur und Zivildienst in Hessen kehrte Salah Naoura Mitte der Achtziger nach Berlin zurück, studierte dort Germanistik und Skandinavistik und schrieb eine Magisterarbeit über die Anfänge deutscher Kinderlyrik im 18. und 19. Jahrhundert. Seither betätigte er sich in verschiedenen Berufsfeldern der Kinderbuchbranche – zunächst als Lektor und Übersetzer, in den letzten Jahren fast ausschließlich als Autor. Er veröffentlichte Geschichten, Gedichte und Romane für Kinder („Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums“) und übertrug zahlreiche gereimte Bilderbücher (u.a. von Axel Scheffler und Julia Donaldson) aus dem Englischen ins Deutsche. Seine Lesungen für Kinder beginnt und beendet er stets mit einem sprachspielerischen Gedicht.

 

Uwe-Michael Gutzschhahn

 

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert