Gedichte für Kinder – Folge 89: Sechs Kindergedichte von Yvonne Hergane

Uwe-Michael Gutzschhahn präsentiert jeweils am 10. eines Monats auf DAS GEDICHT blog faszinierende Kindergedicht-Autoren mit ihren vielfältigen Spielarten der Kinderpoesie. Denn das Kindergedicht soll lebendig bleiben – damit aus jungen Gedichtlesern neugierige Erwachsene werden, die sich an die Klänge und Bilder der Poesie erinnern, statt an die Last der didaktischen Lyrikinterpretation.

 

Das Zauberblatt von Maler Klatt

Es wohnt in einer großen Stadt
ein armer Maler namens Klatt.
Der lebt mehr schlecht als sorgenfrei
von seiner bunten Zeichnerei.

Doch eines Tages springt ihm – huch! –
der Stift aus seiner Hand aufs Buch
und zeichnet plötzlich ganz alleine.
Da ist ein Kopf! Und da – vier Beine!

Ein Hund? Nein, Wolf! Mit großem Maul!
„Gestatten“, sagt er, „ich bin Paul.
Jetzt hab ich endlich `ne Gestalt!
Ich dank dir, Maler, aber … Halt!

Wieso bin ich so grau und wild?
Was soll das ungerechte Bild?
Ich bin doch innerlich ganz scheu.
Ach bitte, Maler, mach mich neu!“

Herr Klatt radiert und zeichnet frisch
ein andres Tierchen auf den Tisch.
Schon grast ganz friedlich tief im Klee
ein wunderhübsches braunes Reh.

„Och nö!“, seufzt Paul. „Das ist nicht besser.
So ’n stumpfsinniger Grünzeugfresser!
Ich will zwar lieb sein, doch nicht dumm.
Komm, mach mich neu, ich bitte drum!“

Herr Klatt gehorcht. Und das Papier
ziert bald darauf ein neues Tier.
„Jetzt“, sagt der Maler, „bist du zahmer
und klug dazu.“ Denn Paul ist Lama.

Doch das gefällt ihm auch noch nicht.
„Ich bin doch kein so ‘n Spuckewicht!
Nur einmal spuck ich: Toi toi toi –
fürs nächste Mal. Los, mach mich neu!“

Herr Klatt denkt nach und legt dann los.
Das Tier wird diesmal nicht so groß.
Ein Hahn – mit prächtigem Gefieder
und unterm Kamm die tollsten Lieder.

Doch Paul kräht unzufrieden: „Nein!
Ich will doch kein Geflügel sein!
Den ganzen Tag in Mist und Heu –
nein, danke. Maler, mach mich neu!“

Und Klatt? Der seufzt und macht sich dran.
Der Paul wird langsam zum Tyrann,
denkt er, bloß zeichnen tut er doch –
`nen Maulwurf samt dem Buddelloch.

„Pfui Spinne!“, ruft der Paul da aus.
„Was ist das für `ne blinde Maus!
Du hast vielleicht einen Geschmack!
Los, mach mich neu, und zwar zackzack!“

Der Maler tut, wie ihm geheißen,
obwohl ihm bald die Nerven reißen.
Und nach nur zwei bis drei Minuten
taucht da ein Nilpferd aus den Fluten.

„Willst du jetzt damit sagen, ich
sei fett? Das ist ja lächerlich!“
Der Paul ereifert sich schon wieder.
„Mach neu!“, brüllt er Herrn Klatt nur nieder.

Echt unzumutbar, das Gejaule
von diesem undankbaren Paule!
Langsam fällt Klatt auch nichts mehr ein.
Ein Elefant? Ein Storch? Ein Schwein?

Doch dann macht’s klick! Der Maler lacht.
Jetzt weiß ich, wie man’s richtig macht!
Sofort entwirft er noch mal frisch
und Paulchen wird … zum stummen Fisch.

Er will gleich schrei’n mit aller Kraft,
doch „Blupp“ ist alles, was er schafft.
„Oh, freut mich, dass es dir gefällt“,
sagt Maler Klatt und räumt das Feld.

 

 

Lirum larum Löffelstiel

Lirum larum Löffelstiel,
dirum darum weiß ich viel.
Weil ich immer, immer frag,
jede Stunde, jeden Tag.

Warum fiese Riesen niesen,
nach dem Gießen Wiesen sprießen,
warum Friesen miese fliesen
und `ne Brise gern genießen.

Ene mene Bienensumm,
wer nicht fragt, bleibt ewig dumm.
Ene mene Läusenissen,
darum will ich alles wissen.

Warum neben dem Rasieren
die Barbiere auch frisieren,
auch Vampire sich genieren
und Musketiere duellieren.

Warum schwere Koniferen
sich von leerem Licht ernähren,
warum Heere gern mit Speeren
und Gewehren sich beschweren.

Ringel ringel Ringelreihn,
wer nicht fragt, hinkt hinterdrein.
Sei die Frage noch so schwierig,
ich bin immer wissbegierig.

Warum Maden und Zikaden
in myriadenfachen Schwaden
mehr als Kohlrouladen schaden
und in Marmeladen baden.

Warum Weichen Eichen gleichen,
Frösche gern in Teichen laichen,
warum reiche Scheiche schleichen
und die Deiche so oft weichen.

Warum Decken voller Flecken
kecken Schnecken lecker schmecken.
Warum Zecken uns erschrecken,
wenn sie sich aus Hecken recken.

Denn im Falle eines Falles
will ich wissen, und zwar alles.
Denn man weiß ja niemals, wann
man es mal gebrauchen kann.

 

 

Zuhause

Zuhause ist da, wo Mama ist.
Wo Papa die Schlüssel im Flur vergisst.

Zuhause ist da, wo es lecker schmeckt
und man den einzigen Kirschkern entdeckt.

Zuhause ist da, wo am Tisch jeder schreit,
und dann jeder jedem – auch sich selber – verzeiht.

Zuhause ist da, wo Pupse so krachen,
dass Papa beinahe vom Stuhl fällt vor Lachen.

Zuhause ist da, wo Türen knallen,
und Mama ruft: „Vorsicht, nicht runterfallen!“

Zuhause ist da, wo die Katze spuckt
und da, wo der Hund alle Würstchen verschluckt.

Zuhause ist da, wo der Wasserhahn tropft,
und der Nachbar wild an die Decke klopft.

Zuhause ist da, wo Socken verschwinden,
um tief unterm Schrank neue Partner zu finden.

Zuhause ist da, wo das Baby weint,
Zuhause ist da, wo die Sonne scheint.

Zuhause ist da, wo bei Gewittern
alle zusammen in einem Bett zittern.

Zuhause ist da, wo Frieden ist,
und niemand dich fragt, wo du geboren bist.

Zuhause ist wissen: Da gehör ich hin.
Zuhause ist da, wo ich bin, wie ich bin.

 

 

Flunder-platter Limerick

Da war eine Flunder aus Flandern,
die wollte so gerne mal wandern.
Doch ganz ohne Füße
war’s klar für die Süße:
Das Gehn überlasse ich andern.

 

 

Herr Alf

Herr Alf will Wörter züchten
mit schönen, dicken Früchten.
Gesagt, getan – er sät
ein großes Alfabeet.

 

 

Reim dich oder ich fress dich

Anneli braucht Champignons,
Dotti nur ein Ei.
Ferdinand grillt Hefebrot.
Isst Jan Kartoffelbrei?
Leonard mampft Nudeln gern,
Otto pantscht im Quark,
Rita süffelt täglich Tee.
Mag Ulf Vanillemark?
Willibert und Xenia lieben
Yamswurzeln mit Zucker.
Und ich? Ich hab Geburtstag und
bin echt ein armer Schlucker.

 

© Yvonne Hergane

 

 

Yvonne Hergane, geboren 1968 in Reschitza, Rumänien und zweisprachig aufgewachsen, studierte in Augsburg und München Germanistik, Anglistik und Buchwissenschaft und lebt inzwischen seit über 20 Jahren als freie Autorin und literarische Übersetzerin in Norddeutschland. Gesundheitliche Umstände waren es, die dazu führten, dass sie mit drei Jahren zwar noch nicht laufen, dafür aber lesen und schreiben konnte. Besonders gereimte Bilderbücher hatten es ihr angetan – mit ihrer Hilfe konnte sie gehen, wohin sie wollte, reisen, über alle Grenzen hinwegfliegen. Heute schreibt sie für Kinder und Erwachsene, aber ihre besondere Leidenschaft gilt weiterhin dem gereimten Bilderbuch („Einer mehr“ war für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert, „Sorum und Anders“ bekam einen Leipziger Lesekompass). Das Spiel mit Reimen, Worten und Klängen ist ihre Art, Musik zu machen und von allen äußeren Zwängen frei zu sein, sich moralischen Zeigefingern und Erwartungshaltungen zu entziehen, als Kind inmitten aller Kinder.

 

Uwe-Michael Gutzschhahn

 

Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath
Uwe-Michael Gutzschhahn. Foto: Volker Derlath

Uwe-Michael Gutzschhahn, Jg. 1952, lebt in München und hat an der Universität Bochum über den Lyriker Christoph Meckel promoviert. Seit 1978 hat er zahlreiche eigene Gedichtbände veröffentlicht, u. a. »Fahrradklingel« (1979), »Das Leichtsein verlieren« (1982), »Der Alltag des Fortschritts« (1996) und »Die Muße der Mäuse« (2018). Zwischen 1988 und 1991 gab er die 12-bändige Kinder-Taschenbuchreihe »RTB Gedichte« mit Texten u. a. von Ernst Jandl, Oskar Pastior, Friederike Mayröcker und Sarah Kirsch heraus. 2003 folgte die Anthologie »Ich liebe dich wie Apfelmus«, die er mit Amelie Fried zusammenstellte und die gerade in einer Neuausgabe wiederaufgelegt wurde. Sein erster eigener Kindergedichtband folgte 2012 unter dem Titel »Unsinn lässt grüßen«. Und im Herbst 2015 erschien seine große Nonsenslyrik-Anthologie »Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her«, im Frühjahr 2018 die Anthologie »Sieben Ziegen fliegen durch die Nacht« bei dtv Junior, die aus der Reihe »Gedichte für Kinder« hervorgegangen ist.

Alle bereits erschienenen Folgen von »Gedichte für Kinder« finden Sie hier.

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