»Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie«: eine fortlaufende Online-Anthologie, zusammengestellt von Jan-Eike Hornauer
Pega Mund
Sonette find ich gar nicht so beschissen
Ach Gott, ich hatte es noch nie mit ’nem Sonett getrieben:
Bananig, abgelutscht, spagatig pubertär, wer so was macht!
Doch letzte Nacht ist es passiert, ich habe eins geschrieben:
Es war zum Sterben geil und viel-viel schärfer als ich je gedacht.
Es kroch ganz splitternackt um Mitternacht zu mir ins Bett.
Ein männlicher Sonett, das habe ich sofort gerochen!
Er glühte, er war hart und stark und gottseidank nicht fett
und raunte: »Nimm mich! Jetzt! Sofort! Du hast es doch versprochen!«
Zwar gab ich niemals ein Versprechen, doch es schmolz
Mein Widerstand dahin, mein hoher Mädchenstolz
Wich ganz und gar dem Wunsch, ihm mich zu schenken,
Und lustvoll züngelnd fielen wir alsbald in lyrische Ekstasen!
Nun weiß ich endlich, wie das tut: vor Liebe rasen!
An diese Nacht mit dem Sonett werd’ ich gewiss mein Lebtag denken.
© Pega Mund, Gröbenzell
+ Das OriginalDas Vorbild ist, wie schon der Titel unschwer erkennen lässt: »Sonette find ich sowas von beschissen« von Robert Gernhardt. 1979 in der Wochenzeitung »Die Zeit« erstmals veröffentlicht, stellte das Gernhardt-Sonett zunächst einen veritablen Aufreger dar, fand schließlich aber Eingang in den Kanon deutschsprachiger Lyrik und dort seinen wahrhaft festen Platz. Heute darf es als eines der bekanntesten und gerühmtesten Poeme des großen Vertreters der Neuen Frankfurter Schule gelten, als eines der meistbeachteten und -verehrten Sonette deutscher Sprache und als eines der meistgelesenen und -gewürdigten Nachkriegsgedichte deutscher Zunge überhaupt. Es lässt den Jugendslang der damaligen Zeit mit der hochkulturellen Formstrenge des Sonetts zusammenprallen und kontrapunktiert den vordergründig ausgesagten Inhalt durch seine Bauart, jener nämlich eines Sonetts nach italienischem Vorbild (das im Reimschema aber strikt dem vom italienischen abstammenden englischen Sonett folgt).
Anders als Mund, die der Dynamik wegen die Verslängen gezielt variiert, die Sonettform also um des Inhalts Willen etwas aufweicht, beides wechselseitig in positiver Korrelation aneinander orientiert, geht es bei Gernhardt um den offenkundigen Widerspruch von strenger Form und flapsigem Inhalt – und dies auf mehreren Ebenen, der lyrischen, der sprachlichen, ja gar der gesellschaftlichen.
+ Zur Autorin
Pega Mund, 1962 in Munderkingen, Baden-Württemberg, geboren und dort aufgewachsen, studierte Psychologie, Germanistik und Kunstgeschichte an der Münchner LMU. Sie lebt heute im Großraum München, genauer in Gröbenzell, und arbeitet als Psychologin im heilpädagogisch-therapeutischen Bereich mit Kindern und Jugendlichen aus Migrantenfamilien. Mund schreibt Lyrik und kurze Prosa. Seit Herbst 2014 Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften und Anthologien, u. a. im »Schwarzbuch der Lyrik 2016« (hg. v. Epidemie der Künste, Distillery), in »Der Greif«, »außer.dem« und »Am Erker«. www.driftout.wordpress.com
»Gedichte mit Tradition« im Archiv
Zu dieser Reihe: »Gedichte mit Tradition – Neue Blätter am Stammbaum der Poesie« ist eine Online-Sammlung erstveröffentlichter zeitgenössischer Poeme, die zentral auf ein bedeutendes Werk referieren, ob nun ernsthaft oder humoristisch, sich verbeugend oder kritisch. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der von Jan-Eike Hornauer herausgegebenen Open-End-Anthologie. Alle bereits geposteten Folgen finden Sie hier.
SONETT VOM BETT
Das Bett ist ein herrlicher Ort;
Wir kuscheln uns hier im Winter,
Zeugen im Liebesrausch Kinder;
Hauchen manches zärtliche Wort.
Im Bett sind Freud und Leid vereint:
Hier ereilen uns die Träume,
Suchen die Phantasien Räume;
Wird manch bitt’re Träne geweint.
Vom Kindbett geht das Leben aus,
Das Krankenbett ist uns ein Graus;
Ins Glück führt uns das Ehebett.
Im Schlaf vergeht die meiste Zeit,
Und irgendwann ist es soweit;
Das Nachtlager wird Sterbebett.
Rainer Kirmse , Altenburg
Mit freundlichen Grüßen