Tobias Burghardt flaniert jeweils am 5. eines Monats auf DAS GEDICHT blog durch die südlichen Gefilde der Weltpoesie. In der Rubrik »Im babylonischen Süden der Lyrik« werden Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt.
Ein echter Kontrapunkt – Wir sprechen erneut über »Delta«. Eine andere, unvirologische Variante. Diesmal mit einem positiven Klang. Über die Edition Delta. Denn in diesem Sommer fand in den Münchner Kammerspielen die Preisverleihung des 3. Deutschen Verlagspreises 21 durch die Kulturstaatsministerin Monika Grütters unter Einhaltung der am 1. Juli 2021 gültigen 13. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und des Hygienekonzeptes des Veranstaltungsortes statt.

Im Statement der unabhängigen Jury unter Vorsitz der Germanistin und Literaturkritikerin Insa Wilke heißt es: „auch in diesem zweiten Jahr der Pandemie war es ein Lichtblick, sich mit Ihrer Arbeit beschäftigen zu dürfen. Nicht nur Professionalität, das Bewusstsein für die sozialen und politischen Dimensionen verlegerischer Arbeit sowie oftmals das Verantwortungsgefühl für die jeweiligen Regionen und der Mut zum durch individuelles Interesse geprägten Profil haben uns wieder einmal beeindruckt.« Wobei hier besonders der »Eigensinn, Enthusiasmus und fachliches Können« der prämierten unabhängigen Verlage geschätzt wird. Zu den Partnern des Deutschen Verlagspreises gehören die Kurt-Wolff-Stiftung, Leipzig, und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

Eine der diesjährigen Preisträger:innen ist die Edition Delta mit ihrem transkulturellen Verlagsprogramm – poetische Qualitätsreihen aus Lateinamerika, dem lusophonen Afrika (Angola und São Tomé e Príncipe), von der Iberischen Halbinsel (Portugal, Spanien, inklusive Sepharad, und Katalonien) sowie aus Asien (Korea und Bangladesch).

Wir sind sehr erfreut über die Würdigung der verlegerischen Vermittlungsarbeit zwischen dem Globalen Süden und den deutschsprachigen Leser:innen. Die poetischen Erkundungen fließen auch hier in meinen DASGEDICHT-Blog »Im babylonischen Süden der Lyrik« ein, weshalb an dieser Stelle ein sehr herzliches Dankeschön für die fruchtbare Zusammenarbeit an alle Mitarbeiter:innen des Online-Forums der Zeitschrift DAS GEDICHT und an meinen langjährigen Dichterfreund und Mit-61er, den Verleger und Herausgeber der Jahresschrift DAS GEDICHT, Anton. G. Leitner, geht.
Umso mehr Dankbarkeit, als wir inzwischen viele schöne und anerkennende Gratulationsworte zahlreicher Kolleg:innen von nah und fern erhalten haben, etwa von Michael Krüger, der aus seiner lang andauernden Wald-Quarantäne zur »wunderbaren Nachricht« beglückwünschte, von Peter Schultze-Kraft aus Voralberg, der sich seit fünfzig Jahren als Übersetzer und Herausgeber für die lateinamerikanische Literaturen einsetzt, vom Komponisten und Autor Walter Zimmermann aus Templin, vom Österreichischen Schriftsteller und Übersetzer Erich Hackl, vom Dichter Walle Sayer aus Horb am Neckar, von Regina Dyck, der Leiterin des Bremer Festivals Poetry on the road, von Ulrich Schreiber, dem Leiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin und etlichen mehr, die sich allesamt in einem freudigen Grundton darin einig sind, dass diese Auszeichnung für die Edition Delta »längst verdient« bis »hochverdient« ist.
Bemerkenswert sind zudem die fünf folgenden Zuschriften: Héctor A. Piccoli, Lyriker, Übersetzer und Germanist aus Rosario, Argentinien, schrieb: »diese hohe Ehrung gönne ich euch von Herzen, denn der Buchverlag Edition Delta hat sich um die Verbreitung von Dichtung wie kein anderer verdient gemacht«, und der Lyriker Volker Sielaff aus Dresden: »Edition Delta schätze ich seit Langem und habe durch die Bücher viele bemerkenswerte Dichter kennengelernt.« Der Tübinger Schriftsteller, Literaturkritiker, Germanist und Musil-Experte Karl Corino meinte: »Wäre ich noch im Funk, hätte ich den 1. Juli für ein Verlagsporträt genutzt und vor allem Ihre Meriten in Sachen Miquel Martí i Pol hervorgehoben – er hat uns ja zusammengebracht.« Aus Lissabon gratulierte der portugiesische Essayist, Übersetzer, Literaturkritiker und Germanist João Barrento: »Ich freue mich mit Euch und denke auch gerne an unsere frühe Zusammenarbeit und unsere gemeinsamen poetischen Interessen.« Und die Übersetzerin und Literaturvermittlerin Anita Djafari, die sich mit Litprom e.V. für die Beachtung der Literaturen aus Afrika, Asien Lateinamerika und der Arabischen Welt engagiert, vermerkte: »Ich bin sicher, dass Ihnen diese wohlverdiente Auszeichnung für Ihre gute Arbeit Wind unter die Flügel gibt.«
¡Muchísimas gracias! Muito obrigado! Moltes gràcies! Mamnun merci! Dhanabad shobaiké!
Zunächst einmal sind wir von so viel Zuspruch überwältigt und gleichzeitig freuen wir uns sehr über den Deutschen Verlagspreis 2021 für die Edition Delta, der den genannten Reihen der Weltlyrik mehr Aufmerksamkeit verschaffen wird, bei denen – wie in diesem Blog – »Sprachgemarkungen überschritten und aktuelle Räume der poetischen Peripherien, die innovative Mittelpunkte bilden, vorgestellt« werden.
In der Reihe Lateinamerikanische Lyrik übersetzen und bereiten wir derzeit ein dreisprachiges Buch des chilenischen Mapuche-Dichters Elicura Chihuailaf (*1952) vor, der 2020 in Santiago de Chile mit dem Nationalpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Sein Gedichtband wird im Herbst 2021 in der Mapuche-Sprache Mapudungún, Spanisch und Deutsch erscheinen.
Die indigene Lyrik hat seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute eine neue, wesentliche und naturverbundene Stimme innerhalb der zeitgenössischen Poesie hervorgebracht, wobei der zweisprachige guatemaltekische Maya-Dichter Humberto Ak’abal (1952 – 2019) auch als grundlegend für diese innovative lateinamerikanische Poesie-Bewegung unvergessen bleibt, siehe auch »Im babylonischen Süden der Lyrik« Folge 5, Folge 6, Folge 42 und Folge 43.

HUMBERTO AK‘ABAL
© Humberto Ak’abal
Aus dem Maya-Quiché ins Spanische von Humberto Ak’abal
Ins Deutsche übertragen von Juana & Tobias Burghardt
Je ‚lalaj kotz’ij tz’ib
Are q’aq ri je’lalaj kotz’i’j tz’ib
kaporon chupan jun
xuquje‘ chikipam ri nikyaj chik.
We man kak’ulmaj, ta wa,
man je’lalaj kotz’ij tz’i’b‘ wa‘.
Poesía
La poesía es fuego,
quema dentro de uno
y dentro de otro.
Si no, será cualquier cosa,
pero no poesía.
Poesie
Die Poesie ist Feuer,
das in einem brennt
und im anderen.
Ansonsten wird es irgendwas sein,
aber nicht Poesie.
Tz’unun
Kinb’in chuwi‘,
ri kitzijob’al ri tz’unun,
kinopan pa ri uq’aq’al,
kinach’ikan pa ri usok.
Tz’unun
Camino sobre la voz del colibrí
llego a su calor
sueño en su nido.
Tz’unun
Ich gehe auf der Stimme des Kolibri,
gelange zu seiner Wärme,
träume in seinem Nest.
Ajtz’ib’anel
Ri ajtz’ib’anel
xa junam ruk‘ ri aqaj, ri wonon
nik’yaj chik kikitij ri kichak.
Los poetas
Los poetas
son como las abejas:
otros se comen lo que hacen.
Die Dichter
Die Dichter
sind wie die Bienen:
andere essen, was sie hervorbringen.
Mam
Mam
nimalaj Chuch Q’ajaw,
kiq’ij ri chikop.
Keb’an ch’utin taq wa,
kexim pa taq utza’m
re uq’ab‘ che re tura’s,
are wa‘ ri ki wa ri chikop.
Mam
Mam
(el Gran Abuelo)
es el día de las aves.
Se hacen tamales chiquititos
y se amarran en las puntas
de las ramas de los duraznos
para que coman los pájaros.
Mam
Mam,
der Urgroßvater,
ist der Tag der Vögel.
Man bereitet kleine Tamales
und bindet sie an die Astspitzen
der Pfirsichbäume,
damit die Vögel essen.
Muxux
Ri q’ij
are ri‘, ri umuxux paq’ij,
ri ik‘
are ri‘, ri umuxux ch’aq’ab‘.
Ombligo
El sol
es el ombligo del día,
la luna
el de la noche.
Nabel
Die Sonne ist
der Nabel des Tages.
Der Mond,
der Nabel der Nacht.
Ri ab’aj
Ri ab’aj man e mem taj
xa kakik’ol ri kich’awem.
Piedras
No es que las piedras sean mudas:
sólo guardan silencio.
Steine
Die Steine sind eigentlich nicht stumm:
sie schweigen nur.
© Humberto Ak’abal
Aus dem Maya-Quiché ins Spanische von Humberto Ak’abal
Ins Deutsche übertragen von Juana & Tobias Burghardt
Trotz der aktuellen Gesundheitskrisen und Naturkatastrophen bleibt die Hoffnung, dass das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur unseres einzigartigen Planeten Erde – wir haben tatsächlich keinen anderen – noch weiter gestärkt wird und kurioserweise mit dem derzeit weltweit stetig wachsenden Interesse an Poesie einhergeht.

Tobias Burghardt (Jahrgang 1961) ist Lyriker, Übersetzer und Verleger der Stuttgarter Edition Delta (www.edition-delta.de). Er veröffentlichte mehrere Lyrikbände, darunter seine Fluss-Trilogie sowie »Septembererde & August-Alphabet«. Zuletzt erschien seine Werkauswahl »Mitlesebuch 117« (Aphaia Verlag, Berlin/München 2018) und sein aktueller Gedichtband »Die Elemente der See«. 2020 erhielt er den Internationalen Poesiepreis »Città del Galateo – Antonio de Ferrariis« in Rom, Italien. Seine Gedichte wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und Einzeltitel erschienen in Argentinien, im Irak, in Japan, Kolumbien, Portugal, Serbien, Schweden, Uruguay und Venezuela. Er ist Mitbegründer und Koordinator des »Babylon Festivals für Internationale Kulturen & Künste«, das seit 2012 jährlich in Babylon und Bagdad stattfindet. Mit seiner Frau Juana Burghardt überträgt er lateinamerikanische Lyrik, katalanische Poesie, lusophone Lyrik und spanische Poesie. Sie sind Herausgeber und Übersetzer der Werkreihe von Miquel Martí i Pol, aus der Pep Guardiola im Sommer 2015 im Literaturhaus München las, und seit Herbst 2014 der Stuttgarter Juarroz-Werkausgabe, dem wir das GEDICHT-Motto »Ein Gedicht rettet einen Tag« (Roberto Juarroz) verdanken. Im Frühjahr 2017 wurden beide für ihr jeweiliges poetisches Werk und ihr gemeinsames literarisches Engagement zwischen den Kulturen und Sprachen mit dem »Internationalen KATHAK-Literaturpreis« in der südasiatischen Metropole Dhaka, Bangladesch, und als Verlagsteam der Edition Delta mit dem »Deutschen Verlagspreis 2021« des Kulturstaatsministeriums, Berlin, ausgezeichnet. Tobias Burghardt war GEDICHT-Redakteur der ersten Stunde und organisierte immer wieder wunderbare Sonderteile mit lateinamerikanischer Poesie für unsere Zeitschrift DAS GEDICHT.
Alle bereits erschienenen Folgen von »Im babylonischen Süden der Lyrik« finden Sie hier.