Auszeichnungen, Institutionen, Konferenzen, Lesungen, Poesie im Feuilleton und Lyrik-Neuerscheinungen: Nicola Bardola kommentiert und präsentiert am 20. eines Monats Bemerkenswertes aus der Welt der Verse.
Charles Bukowski steht als Unikum in der Lyriklandschaft da. Er wurde 1920 geboren, war ein Vielleser, kannte die wichtigen Werke der Poeten vor ihm, setzte sich mit verschiedenen Ausdrucksweisen auseinander, fand aber schon sehr früh seinen eigenen Ton. Als Sprachkünstler war er ein Einzelgänger. Als er 1994 starb, hatte er unbeschadet die Gedichte der Beatniks und der Hippies überlebt. Das hängt mit seiner Schreibe zusammen, die eng mit seinem Leben verbunden war: Von Frauen über Alkohol zu Pferderennen, von Brotjobs über Geldnot zu Schlägereien. Buk war das bescheidene Großmaul, der sensible Rüpel, der mit unüberbietbarer Offenheit alles aussprach, was ihm wichtig war. Buk, der mit erschütternder Treffsicherheit ins Schwarze der Tabus traf und lustvoll schaute, wie die Masken um ihn herum zersplitterten. Er verletzte seine Mitmenschen auf so mitfühlende Weise, dass Leser, die ihn einmal für sich entdecken, nie genug von ihm bekommen können.
Eine editorische Meisterleistung ist der neue Band „Dante Baby, das Inferno ist da! 94 unzensierte Gedichte“: „Bukowskis Gedichte wurden geschönt, verharmlost oder verstümmelt (…) Die Gedichte in diesem Band sind Übersetzungen von unzensierten Originaltexten“, schreiben die Herausgeber zu diesen meist wenig bekannten Fundstücken. 23 Gedichte werden hier erstmals veröffentlicht, die meisten anderen sind noch nie in Gedichtbänden erschienen. Zusammengestellt wurden sie von Abel Debritto, einem spanischen Fullbright-Stipendiaten, der für seine Doktorarbeit die USA auf der Suche nach verlorengegangenen Bukowski-Texten bereiste. Bei Kindern und Enkeln früherer Zeitschriftenverleger wurde Debritto fündig. Sein Material umfasst inzwischen viele Ordner. 2017 erschien eine Auswahl davon bei Harper Collins unter dem Titel „Storm for the Living and the Dead“, die Vorlage für „Dante Baby“, die erste unzensierte Veröffentlichung von Bukowski-Gedichten seit seinem Tod.
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Es handelt sich um Raritäten und Neuentdeckungen, aber natürlich kommt einem der Sound vertraut vor, und manche Motive, von den Blasen in der Badewanne bis zum unfehlbaren System für Wetten bei Pferderennen im Leben des Henry Chinaski kennt man gut, vielleicht aus Bukowskis Romanen, in denen er bewies, dass er auch ein Meister der Langstrecke ist. Überraschend ist der wiederkehrende musikalische Kontrast zwischen Bob Dylan, der unkommentiert präsent ist, und klassischer Musik, für die sich Bukowski begeistert. Ungestüm, wild, schockierend greift Bukowski kurz vor oder kurz nach Alkoholexzessen akute Situationen auf, die ihn umtreiben, von zu Ende gehenden Farbbändern für die Schreibmaschine bis zu unbeantworteten Bettelbriefen. Die Themenpalette ist groß und doch ist es immer der unverwechselbare Buk-Sound, obszön und zärtlich zugleich, der den Lesern ein „Oh!“ oder ein Schmunzeln ins Gesicht zaubert.
Da sind die Dialoge bei der Pferderennbahn, die Beichten von Freunden, die in Buk unverhofft ihren Therapeuten finden („‘Frank‘, sagte ich zu ihm, es ist allein deine Sache, was du mit deiner Zeit machst“). Und die Hymnen auf Komponisten klassischer Musik („… wir Alkoholiker und Agnostiker: Diese Noten hüpfen wie wilde Bohnen“). Und die ausgeflippten Momente („… ich beugte mich ein wenig vor und begann zu tippen: frsyj, mrbrt, syyyyrtfr sd, ivj sd yjsy dytuhlir yo dysy / slibr s, pmh yjr %rp%;r smf om d%oyr pg yjs …“). Und die allmählich reifende Selbsterfahrung, dass er auf dem richtigen Weg ist, beispielsweise als ein Verleger ihm sagt: „Chinaski, du hast mir die Poesie versaut … seit ich dein Zeug lese, kann ich nichts anderes mehr lesen.“ Und der Blick für Frauen („Dies ist ein inflationäres Alter / bei diesen Damen / zahlst du vorher, mittendrin und / hinterher. Sie sind emanzipierte Frauen“) und deren Anbetung, beispielsweise in „Texsun“, wobei ein hartgesottenes Ende, das deren und den eigenen Charakter entlarvt, immer für Klarheit sorgt.
Oft geht es um die Texte anderer, was mal kritisch („beinlose / kopflose / bauchnabellose / Gedichte (…) halslose / handlose / hodenlose Poesie“), mal hymnisch (zu Hemingway, Fante oder Pound) ausfällt. Und es geht um die eigenen Texte, wie in „Zwei unsterbliche Gedichte“, worin Leben und Dichtung ineinanderfließen: „Wenn ich diese High Heels meine Treppe / hinauftrippeln höre … / wird mir klar, dass es im Leben nicht um Papier / oder Unsterblichkeit geht“. Glanzvoll Buks Analyse der Kollegen, die ihre Zeilen straffen in „Das funktioniert nicht immer“: „Und dann sagte dieser Schriftsteller / Scheiße, ich kann nicht furzen / und blies sich sein Hirn / weg. // Blies Hirn weg. // Blies Hirn. // Blies.“
Vom Blick zurück mit Buk zum Blick voraus mit Beck: Das Cover zu „komm & geh zeiten“ hätte Buk gefallen: Eine Straßenszene in den USA mit mehreren Yellow Cabs, offenbar eine Einbahnstraße, denn die Gegenfahrbahn fehlt. Stattdessen viele geparkte Autos und das Schild: „stop praying… God’s too busy to find you a parking spot“. Ausführlich beschreibt Buk ja seinen entsprechenden Ärger in „Parkservice“. Beck bewegt sich aber in einer Welt, die Buck nie kennengelernt hat: die Arbeitswelt des Managements. Ulrich Beck wurde 1964 in München geboren und arbeitet in leitenden Funktionen für die Industrie. 1986 debütierte er mit dem Gedichtband „gleitzeit“. Es dauerte über drei Jahrzehnte bis nun sein zweiter lyrischer Einzeltitel erschien. Dazwischen veröffentlichte er in Anthologien, Zeitschriften und Blogs.
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Beck beweist im fünften Teil des Bandes seinen vertrauten Umgang mit traditionellen Poesie-Motiven, denen er neue Bilder hinzufügt: „die blätter sind eingekehrt / nur das abnicken der äste / stoppt den kalenderabriss“ beginnt der zweite Teil des Gedichts „aller heiligen“. Genau beobachtet der Managerpoet oft an Feiertagen und in Urlaubszeiten die Abläufe um ihn herum, die er manchmal politisch engagiert, manchmal selbstkritisch hinterfragt: Eine Pflaumenschwemme von 1936, das stündliche Sterben auf dem Bildschirm oder in „kultur.untergang“ die rätselhaften „perseuken“. Dabei liebt er den Einsatz von Enjabements („… könig kugelhagelvoll // ein schuss zu / weit geradeaus …“) und verdichtet und verkürzt wie Buk es eigentlich gar nicht mag: „Ich kannte mal einen Schriftsteller / der immer versucht hat, seine Zeilen zu straffen.“ Wenn Buk mit schwarzem Humor über Dichterkollegen spricht, dann schreibt Beck mit spitzer Feder: Seine Versbrechungen und Zeilensprünge sind weit weg von kolloquialer Poesieprosa. Beck reduziert aufs Minimum: „wucht / schlucht // schluck / specht // auf / stieg // blick / dicht // ab / fall“.
Im vierten Teil des Bandes „#intermezzo II“ zeigt sich Beck politisch. In „#schland“ geht es um den Talkshow-Flaggenmann, „… beurlaubt von geschichte“. Das sitzt und eine verstärkte poetische Hashtag-Präsenz Becks im Internet ist wünschenswert. Im dritten Teil „auszeiten“ dominieren die Alltagsbeobachtungen und gewitzten Wortspiele. Heißt es im Gedicht „deutsches eck“ noch mineralwassermäßig „pur born“, so korrigiert sich Beck in der nachgereichten Zeile und kursiviert: „pure porn“. Im ersten Intermezzo lesen sich Jahreszeiten so: „zeitlose / versperren // den blick / auf nackte // tatsachen“.
Die erstaunlichsten Texte finden sich im erste Teil „komm zeiten“. Hier verbindet Beck am stärksten seine Erfahrungen am Arbeitsplatz mit seiner Wortkunst. Die Wortwahl ändert sich: Werkstore, Büros, Schreibtische, Papierkram, Klarsichthüllen, Krawatten, Telefonanlagen, Milchglas, Kantinen, Kaffees, Konjunktur, Parkdecks, Koffer, Flugsequenz, Stopover, Schockinfarkt, Body Bag. Großartig das Porträt von Thomas Middelhoff in „graubrot für helden“. Die Tätigkeiten der Angestellten ähneln Kriegseinsätzen von bissfesten Gurkentruppen. Vom CEO ist es nicht weit zum „unbemannten briefkasten c/o panama“. Der erste Teil von „corporate warrior“ bringt es auf den Punkt: „corporate culture // alle zusammen / way of working / speak up and be yourself // a guidance signed / in abscence / FOAD // fuck off and die.“ Weil es kaum Dichter gibt, die wissen, was in den gehobenen Management-Etagen in den Meetings und sonst so im Einzelnen geschieht, sind Becks präzise Bilderblitze im Dienst und außerhalb lesenswert. Er erreicht ein breites Publikum: für seine Verwandten im Arbeitsleben heißt es: Knoten lockern und loslesen, für alle anderen: Augen auf bei dieser Annexion der Business Class durch Poesie.
Charles Bukowski: „Dante Baby, das Inferno ist da! 94 unzensierte Gedichte.“ Mit Illustrationen. Maro Verlag, Augsburg 2018, 256 S., € 24,- [D]
Ulrich Beck: „komm & geh zeiten. Gedichte.“ Anton G. Leitner Verlag | edition DAS GEDICHT, Weßling 2018, 104 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen € 15,– [D],
auch als E-Book erhältlich: € 9,99 [D]
https://aglv.com/Ulrich-Beck-komm-geh-zeiten
Nicola Bardola, 1959 in Zürich geboren, veröffentlichte als Student an der Universität Bern erste Gedichte und schrieb 1984 an der Universität Zürich im Fach Germanistik seine Lizentiatsarbeit über Theorien moderner Lyrik (u. a. zu Nicolas Born, Rolf Dieter Brinkmann, Jürgen Theobaldy). Seither lebt er in München, wo er seine Kolumne »Lyrik Revue« zunächst für das Münchner BuchMagazin betreute und für die Süddeutsche Zeitung schrieb. Er veröffentlichte Gedichte in Zeitschriften und Anthologien, übersetzte Eugenio Montale ins Deutsche und war Mitbegründer der Initiative Junger Autoren (IJA).
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