Mit Humor und pointierter Bildsprache: Sabine Fisch fasst das Leben in Verse, aus der Mitte der Gesellschaft heraus und mit dem Blick einer Über-80-Jährigen

Die alltägliche Welt poetisch und humorvoll erfassen – in all ihrem Widerspruch und in bestechender Klarheit, Sein und Bewusstsein vereinen, mit einer Sprache, so schnörkellos wie kunstreich. Darum geht es in Sabine Fischs neuem Gedichtband »Oben auf dem Balkon«.

Mit viel Lebensweisheit, gerne skurrilen Bildern und einer ernsten Gelassenheit verortet sich eine lebenserfahrene Frau in der Welt – und vermisst die bürgerliche Gesellschaft mit Hingabe und Biss. Was dabei immer wieder auffällt und gerade zu Beginn viel ausmacht: Fisch hat das innere Kind in sich bewahrt – was sie, mit Recht, gut findet, worüber sie sich aber auch lustig macht, etwa wenn sie quasi heimlich als Alte noch auf dem Kantstein balanciert oder sich in »Ich bin meine Oma« dazu gratuliert, alle Lichtschalter in der Wohnung ganz alleine betätigt zu haben – so wie es eben ihre Oma früher gemacht hat, als sie noch ein Kind gewesen ist.

Die private Sphäre wird mit Lust und Tiefe ausgeleuchtet

»Ein Leben ohne Probleme« wünscht sie sich zwar nur und hat es nicht, dem gleichnamigen Gedicht zufolge, in dem sie gerne mit den Wolken hinfortreisen würde beim Blick in den Himmel, doch ihrer Lyrik zufolge dürfte sie sehr nah dran sein: Verhandelt wird nur die private Sphäre. Etwa spielt das erste Kapitel zunächst im Haus mit Garten und moosbewachsenem Kletterbaum (den sie abwischen will, reinigen, bevor die Enkelin kommt, damit die ihr Kleid nicht beschmutzt – was geistreich-amüsant ihre Fürsorge ebenso zeigt wie das letztlich vergebliche Ringen gerade des einzelnen Menschen mit der Natur). Und es geht um die Erinnerung an die Kindheit sowie das Selber-Oma-Sein.

Das Älterwerden als Großthema nimmt hier dabei rasch Raum. Etwa in »Die Zeit wird knapp« wird es unlamoryant behandelt, mit einer gewissen distanzierenden Kühle. Fisch erinnert da gleich an die neue Sachlichkeit; klar, Reim und klare Metrik fehlen, aber eine Verwandtschaft insbesondere zu Mascha Kaléko ist schon da. Im Ausdruck, und auch weil Kaléko – sogar bei all den Schrecknissen ihres Lebens – letztlich ebenfalls eine positiv gestimmte und stimmende Dichterin war. Doch auch stets irgendwie fremd in der Welt. Und dies sogar zunehmend. Leicht nachzuvollziehen ist entsprechend, wie Fisch sich selber sieht: dass sie etwa in »Ich« von ihrem »biedermeierlichen Herzen« schreibt. Und dass sie sich selbst attestiert: »Das Hirn humpelt / durch die neue Welt.« (Wenngleich bei ihr lediglich Altern und kein erzwungenes Exil diese gesteigerte Weltentfremdung im Kern verursacht.)

Unerhörte Sprachbilder

Allgemein lebt ihre Lyrik oft, wie auch die soeben zitierte Stelle, von ihren nüchtern vorgetragenen, leicht zugänglichen, aber in ihrer Ausgestaltung meist unerhörten Sprachbildern. Ja, im besten Sinne pointiert, das ist ihre Schreibe. Und mit diesen Mitteln wird über den eigenen Platz in der Welt nachgedacht, da wird, bei allem Augenzwinkern, schon auch glaubhaft gehadert – aber Verzweiflung kommt nie auf. Und die Dichterin bleibt so sehr im Allgemeinen, dass ihre Texte leicht anschlussfähig sind – es ist absolut klar, hier schreibt ein echter Mensch, und er schreibt aus eigener Erfahrung. Doch Fisch will nicht lediglich sich selbst bespiegeln, ausstellen, sichtbarmachen. Sie abstrahiert so weit, dass sie grundlegendere Aussagen trifft, ja, Bilder malt, die jedem bekannt vorkommen können – oder die zumindest doch einen klaren Weg in sich hinein weisen. Dabei aber viel Neues enthalten und eben dies: eine zauberhafte Klarheit mit Poesie und Humor und schönem Ernst bieten.

Wenn etwa in »Mäusefutter« ein »Vorrat an Tagen« von und an ihr »weggeknabbert« wird, dann ist der Gedanke an den Tod schon echt, und das Schreiben der Verse, die von der Tageszeitungslektüre hin Richtung Ewigkeit laufen, stellt nachvollziehbar eine Auseinandersetzung mit dem nahenden eigenen Ende dar. Doch mit welch kecken Bildverschränkungen, mit wie viel Witz geschieht das! Nein, dem Tod kann keiner entkommen, aber man kann ihm wunderbar seinen Schrecken nehmen und auch allgemein schwere Themen mit ungeheurer Leichtigkeit behandeln. Genau das schafft die alltagsnahe Poetin scheinbar mühelos, und das ist wahrlich nicht wenig.

Immer wieder tritt dabei auch auf, ein bisschen als stampfender Grundton: das Behaupten der Eigenständigkeit, des Weitermachens. Kapituliert wird letztlich nie. Sogar wenn das Gedicht den Titel trägt »Im Stillstand angekommen« und sich so anlässt: »Auflehnung sinnlos. / Alle Messer sind dir genommen.«, endet es doch mit einem Aufbäumen (auch wenn’s ein ironisch gebrochenes ist): »Denken an trotzige Zeiten.«

Neue Impulse im Alter – zarte Verse entstehen

Dabei ergeben sich auch zartmeditative Texte. Sie gibt’s von Beginn an, doch gewinnen sie gar die Überhand, als das lyrische Ich im späteren Verlauf des ersten Kapitels sich nicht mehr im eigenen Haus befindet, sondern im Altersheim (das auch so benannt wird und nicht etwa als Seniorenresidenz verbrämt). Und dies gilt sowohl auf Fisch selbst bezogen, die sich, wie zuvor auch in ihrem Haus, selbst beobachtet ihr eigenes Sein reflektiert, als auch in der Umgebungsbeobachtung, etwa wenn in »Palliativ« eine angebrochene Schokoladentafel beschämt verdeckt wird – offenkundig weil ihr Esser verstorben ist und dieses Genuss- und Lebenszeichen von ihm nun, ja, unerträglich, nicht mehr in diese Welt passt.

Beruhigend ist dabei: Das Altersheim sorgt durchaus für Positives, für Freundschaftsgefühle, gute Impulse von außen, innere Zufriedenheit und Entspannung. »Ach, / bin ich müde. / Positiv müde. […] War schöner Tag.«, heißt es da etwa, oder, um ein ganzes Gedicht zu bringen, das auch mit der typisch Fisch’schen Bildsprache besticht, die das kindlich-naive Moment innovativ wendet:

Ich muss mein Herz
selber auf den Schoß nehmen,
es streicheln wie ein kleines Tier
und ihm dabei gut zureden.
Schon klopft es schläfrig –
zufrieden wie ich

In »Staub« formuliert sie am Ende, es gehe um »ein Bild vom großen Lebensfest«. Genau das liefert sie in »Oben auf dem Balkon« – aus der augenzwinkernden, melancholischen Perspektive einer alten Frau, die mit sich im Reinen ist, sich umsieht und auch etwas Rückschau hält. Ein wunderbares Buch – und auch jungen Männern anzuempfehlen. Denn es ist wirklich für jeden Leser was, und das meine ich als Kompliment.

Miniaturen mit schnellem Strich und viel Erkenntnis

Diese zusammenfassende Erkenntnis gilt schon für das stark autobiographische, im Jetzt verhaftete erste Kapitel – das ich auch am berührendsten finde. Doch sicher auch folgend, wenn sie etwa in Kapitel zwei via Miniaturen, sozusagen mit schnellem Strich, die recht heile, zutiefst bürgerliche Alltagswelt ihres erlebten Lebens aufzeigt (das interessanterweise nach ihrem Lebenslauf tatsächlich von der bildenden Kunst und Musik geprägt war, wenngleich man sie nach Lektüre des Bandes auch als Hausfrau hätte einordnen können), und zum Beispiel verschiedene Menschentypen aufgreift sowie – mit kritischem Humor und Liebe – einordnet (etwa die Frau aus »Parteinahme«, die sich ihr Leben grundsätzlich schöndenkt und etwa eine Nachbarin von Fisch gewesen sein mag). Hier gibt sie dann auch gelegentlich wunderbare Lebenstipps, die jederzeit auf Kalenderblätter passen würden, aber über die üblichen Sprüche dort weit hinausragen, wie diesen (der mich ein wenig an Janosch erinnert):

Empfehlung

Feiner kleiner schneiden
diesen Sommertag.
Dann wird ein ganzer Urlaub draus.

Nicht immer will sie dabei die Zeit anhalten, oft beklagt sie auch, wiewohl zumeist humorvoll, dass nichts passiert. Doch sie kann die lustvollen Momente stets erkennen – und weiß sie zu nutzen. Und selbst aus den langweiligen durch ihre Perspektive und Beschreibung noch Gewinn zu ziehen. Die merkwürdigen Menschen um sie herum, die beobachtet sie dabei in jeder eigenen Lage, bedenkt sie stets mit zartem Spott, liebevoller Anerkennung, bissigen Versen. Sie lebt schon in einem Idyll – doch sie bemerkt und markiert auch das falsche Lachen und die Masken in ihm.

Wohliger Rückzugsraum selbst im Schrecken

Dies alles gilt fürs zweite Kapitel und gesteigert fürs dritte, in dem sich die Gedichte aus dem konkreten Alltag mehr lösen und ins allgemein Abstrakte auffliegen. Hier geht es mehr um die Anforderungen, die von außen an den modernen Menschen gestellt werden sowie seinen grundsätzlichen Blick in die Welt. Die Bilder werden nun durchaus drastischer, grotesker, etwa hängen da lauter große Schinken an Fleischerhaken mit im Kleiderschrank, von »Apokalypse« ist die Rede und es wird kritisiert, dass die Hauptforderung der Gesellschaft ans Ich ist, »mit geradem Rücken« zu warten. Diese Verhärtung der Verse aber wird sogleich auch aufgebrochen: auffallend oft gibt’s nun auch wieder den Blick in die naheliegende Natur, doch die Natur hat nun oft selbst etwas Bedrohliches, löst sich vom lyrischen Ich, greift an, deutet auf Verfall hin – doch als Gegenpart hierzu gibt’s auch dies weiterhin: Natur als locus amoenus, als Ort der Geborgenheit in der Welt (und wenn eine simple Kuh auf der Weide ihn schafft).

Was bleibt: Auch wenn es bei Sabine Fisch mal schrecklich zugeht, die Dichterin bietet zugleich auch immer einen wohligen Rückzugsraum. Ihre Verse sind insgesamt federleicht. Dabei aber nicht kitschig. Und sprachgewandt kommt auch manch schöner Schrecken daher. Nein, man kann die Autorin und ihre Gedichte gar nicht nicht mögen.

(jeh)


Eckdaten zum Buch

Sabine Fisch
Oben auf dem Balkon
Gedichte
Reihe Poesie 21, Band 116
Verlag Steinmeier
Deiningen, Dezember 2023
96 Seiten, Broschur
€ 14,00
ISBN 978-3-910597-04-4






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